Termine im Oktober 2013

Das Geschehen um ein Lager für Menschen im Asylverfahren nimmt der Aufruf zu einer Demonstration am 3. Oktober in einen breiteren Blick:

(...) Der sich offen bahnbrechende Rassismus von Anwohner_innen wurde einfach geleugnet. Jetzt fühlen sich einige Hellersdorfer_innen vor allem als Leidtragende der bundesweiten medialen Aufmerksamkeit. Wenn die Bezirkspolitik nun fordert, dass „endlich Ruhe“ einkehren soll, dann darf nicht vergessen werden, dass erst die antirassistischen Aktivist_innen vor Ort den Nazis den Boden streitig gemacht haben. Wenn Polizeipräsident Kandt vermeintliche „Rechts-Links-Konfrontation“ als das größte Problem sieht, dann verharmlost dies das alltägliche rassistische Klima, die beinahe täglichen rassistischen Aktionen rund um die Unterkunft und die Angriffe auf mehrere Geflüchtete.

(...) Trauriger Fakt ist aber, dass Rassismus zum Alltag von Geflüchteten und derer gehört, die als abweichend von der sogenannten deutschen Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen werden: er äußert sich in Form von Benachteiligung in Schule und Ausbildung, bei der Jobsuche oder in willkürlichen Polizeikontrollen auf dem Bahnhof einfach nur wegen des Aussehens. Hinzu kommt die aufgezwungene, menschenunwürdige Unterbringungssituation von Geflüchteten in Lagern und sogenannten Notunterkünften.

(...) Wenn sich am 3. Oktober Deutschland für gelungenes Krisenmanagement, Integration und Wirtschaftswachstum feiert, wollen wir dieser Selbstvergewisserung etwas entgegen setzen. Im nationalen Taumel zwischen Sportevents und vermeintlich guten Wirtschaftszahlen wird ausgeblendet, dass Morde und Angriffe aus rassistischen und nationalistischen Gründen zum Alltag in diesem Land gehören. Die Stimmung in Deutschland ist derzeit alles andere als solidarisch mit Menschen, die vor Krieg, politischer Verfolgung geflüchtet und für ein besseres Leben hier her gekommen sind. Somit steht die Losung „Refugees Welcome“ für uns vor allem für eine Forderung und Aufforderung an alle. An Stelle von gegenseitiger Konkurrenz, wollen wir eine Kultur der Solidarität, statt einem Klima der Ausgrenzung eine Willkommenskultur setzen.

(...) Zeigen wir am 3. Oktober, dass Rassismus hier keinen Platz hat und wir gemeinsam für eine solidarische Gesellschaft und ein wirkliches Recht auf Asyl eintreten - ohne Diskriminierung und rassistische Sondergesetze.

Das ist erfrischend differenzierter als ein Diskurs, in dem der Begriff Rassismus keinen Platz hat, doch missen wir - gerade am 3. Oktober - die Forderung Deutschland zugunsten einer freien Assoziation von Individuen in Selbstverwaltung aufzulösen. So entsteht doch glatt der Eindruck es ginge lediglich um ein besseres Deutschland und nicht die Beseitigung des totalen Elends samt rassistischer Ideologie.

Ab dem 10. Oktober ist in der Pyramide Hellersdorf die Wanderausstellung "Verbrannte Bücher - Von den Nazis verfemte Autoren" zu sehen:

Was war das für eine Nacht, in der im Deutschen Reich die Bücher brannten?

In der in nahezu jeder deutschen Universitätsstadt die Feuer wie ein Fanal an diesem 10. Mai 1933 weithin sichtbar leuchteten. Wie konnte es sein, dass in einem zivilisierten Land im 20. Jahrhundert Studenten in ganz Deutschland freiwillig und freudig nachts auf die Straße liefen und die Bücher ihrer besten Schriftsteller ins Feuer warfen?

Die Bücher von Kurt Tucholsky, Erich Kästner, Heinrich Mann, Erich Maria Remarque und vielen, vielen anderen. Im Land herrschte Aufbruchstimmung, ein neuer Geist. Eine neue Gemeinschaft sollte entstehen, und um diese entstehen zu lassen, musste zunächst einmal der Teil, der nicht dazugehören sollte, aussortiert werden – für alle Welt sichtbar, leuchtend in der Nacht.

Jene Nacht ging wie ein Riss durch das Leben der 131 Autoren, die auf der ersten „Liste des undeutschen Geistes“ standen. Ein Riss durch ihr Leben, durch ihr Werk. Ein Riss auch durch die Geschichte dieses Landes.

Rosa LuxemburgWie es sein konnte, dass deutsche Akademiker kurzen Prozess mit Literatur machten, lässt sich wohl erst beantworten, wenn die bürgerliche Gesellschaft ihre ideologische Substanz in den Blick nimmt. Dass Deutschland als zivilisiertes Land bezeichnet wird lässt auf eine immer noch nicht beendete Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit und ihrer Kampfbegriffe schließen.

Im Rahmen dieser Ausstellung lesen am 24. Oktober ab 18 Uhr Lea Rosh und Jörn Schütrumpf aus Rosa Luxemburgs Liebesbriefen. Liebe rangiert ja immerhin mit materialistischer Kritik und Raketefliegen unter den schönsten Sachen des Lebens.

Eine Woche vorher, am 18. Oktober wird parallel die Ausstellung "Humanisten im Fokus - Zerstörte Vielfalt" an derselben Stelle eröffnet - mit Musik, auch so eine schönste Sache:

Kurz nach ihrem Machtantritt zerschlugen die Nationalsozialisten sowohl den Deutschen Freidenkerverband als auch den Bund Freier Schulgesellschaften.

Beide Organisationen befanden sich von Anfang an im Fadenkreuz der Nationalsozialisten. Die humanistischen Ideen und die fortschrittliche Pädagogik dieser Bewegung lehnten sie ab. Ende Februar 1933 ordnete das Kultusministerium die Auflösung der weltlichen Schulen an. In Berlin gab es 52 dieser Schulen. Am 15. März besetzten SA-Trupps die Zentrale des Deutschen Freidenkerverbands. In der Folge löste die Gestapo den Verband auf.

Die Freidenkerbewegung hat ihre Ursprünge im 1905 gegründeten „Verein der Freidenker für Feuerbestattung“ und entwickelte sich in der Weimarer Republik zu einer wichtigen kulturpolitischen Organisation der Arbeiterbewegung. Der Bund Freier Schulgesellschaften entstand 1920 und widmete sich dem Kampf um die Weltlichkeit und die Demokratisierung des Schulwesens. Beide Organisationen zählten in Berlin zu den bedeutendsten Zweigen der humanistischen Bewegung.

Im Rahmen der Ausstellung werden das Vorgehen der NS-Institutionen gegen diese beiden Teile der humanistischen Bewegung und der Widerstand von Menschen aus dieser Bewegung auf 20 Ausstellungstafeln gezeigt. Im Mittelpunkt stehen ein Dutzend Biographien von Humanist/-innen, die sich gegen das NS-Regime aufgelehnt haben. Dazu gehören der Vorsitzende des Deutschen Freidenkerverbands, Max Sievers, sowie Hanno Günther, Kopf einer Widerstandsgruppe, die überwiegend aus Absolvent/-innen der weltlichen Rütlischule bestand. Beide bezahlten ihren Widerstand mit dem Leben.

Außerdem möchten wir schon auf eine Demonstration am 3. November anlässlich des zweiten Jahrestages der NSU-Selbstenttarnung unter dem Motto "Das Problem heißt (immer noch) Rassismus." hinweisen. Eine Aussage zu der sich viele in Hellersdorf nach wie vor nicht durchringen können, obgleich Indizien dafür vorliegen. Stattdessen gibt es am 5. Oktober eine Menschenkette bei der sich gut-deutsche HelferInnen gegenseitig die Schultern klopfen werden. Doch nicht nur Menschenketten sorgen für fiese Flashbacks an die Neunziger, in der Provinz werden Nicht-Weiße in's Koma geprügelt und die Deutschen sorgen sich um ihr Image; ob sich die nächsten Toten mit dem Umdeuten der TäterInnen zu Phänomenen außerhalb der weißen Mehrheitsgesellschaft und einem Kehraus der deutschen Wohlstandshaushalte verhindern lassen?

Hier ein vorläufiger Aufruf zur Demo am 3. November des Bündnis gegen Rassismus:

Seit einigen Monaten läuft die Gerichtsverhandlung gegen Zschäpe, Eminger, Gerlach, Schultze und Wohlleben, bei der immer mehr die abscheuliche und rassistische Arbeit und Organisationsstruktur sämtlicher Institutionen deutlich wird. Trotz des offensichtlichten Rassismus', der in den Institutionen verankert ist, wird dieser immer noch nicht erkannt und benannt, geschweige denn bekämpft. Nicht einmal der sogenannte NSU-Untersuchungsausschuss hat Konsequenzen auf institutioneller oder gesellschaftlicher Ebene gefordert. Denn auch in der Gesellschaft haben sich die rassistischen Diskurse nicht verändert. Wir haben es weiterhin mit einer mehrheitlich weiß-deutschen Gesellschaft zu tun, die nicht gewillt ist, den Rassismus in den Köpfen und ihre unmittelbaren Auswirkungen auf die Strukturen des Systems zu reflektieren und radikale Veränderungen herbeizuführen.

Stattdessen werden Empfehlungen formuliert, die komplett das Thema verfehlen. So forderte beispielsweise der Leiter des Untersuchungsausschuss NSU Sebastian Edathy (SPD) "mehr Menschen mit Migrationshintergrund" im Polizeidienst. Traurig genug, dass der öffentliche Dienst die Bevölkerung offenbar nicht repräsentiert. Zudem sind Rassismus und die daraus resultierende strukturelle Gewalt kein Problem, welches sich mit dem Einstellen von ein paar Quoten-PoC lösen lässt. Stattdessen ist es unabdingbar, die rassistischen Strukturen und deren Wirkungsweisen in Frage zu stellen. Das ist keine Aufgabe, die ausschließlich People of Color und/oder Migrant_innen übernehmen sollten, sondern vor allem die weiß-deutsche Mehrheitsgesellschaft, die überall strukturell am längeren Hebel sitzt.Wir möchten weiterhin auf den institutionellen wie alltäglichen Rassismus aufmerksam machen, der auch nach der Aufdeckung der NSU-Mordserie kontinuierlich weitergeht.

Kommentare

warum könnt ihr uns, die Anwohner UND die Flüchtlinge nicht einfach in Ruhe lassen???? es is doch furchtbar.... wann kehrt hier ruhe ein?????

An welcher Stelle wird denn Ihre Ruhe beeinträchtigt? Da wo darauf hingewiesen wird, dass Menschen eine Demonstration veranstalten, weil sie gesellschaftliche Missstände sehen? Oder da wo auf Ausstellungen hingewiesen wird, die sich mit der mörderischen Geschichte unserer Gesellschaft beschäftigen? Macht Sie das unruhig? Es steht Ihnen ja zweifelsfrei zu sich nach einem Leben in Frieden bar jeder Widersprüche zu sehnen. Ein Glück für Sie, dass Ihnen das als anerkanntes Mitglied der deutschen Mehrheitsgesellschaft bereits vergönnt ist. Anderen AnwohnerInnen ergeht es durchaus anders. Schlecht gesagt: Die Ruhe ist immer die Ruhe der Ausgeschlossenen.

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