Kommuniqué zur Lage in Hellersdorf

Liebe Genoss*innn, Freund*innen, liebe Humanist*innen und Kulturoptimist*innen in Hellersdorf,

Seit dem letzten Sommer ist Hellersdorf durch die Auseinandersetzungen um die Flüchtlingsunterkunft wieder als rechte Hochburg ins Gespräch gekommen. Tatsächlich sind die Ereignisse und Entwicklungen seit dem vergangenen Jahr nicht mehr nur besorgniserregend: Wir gehen mit Sorgen aus dem Haus.

Wir äußern uns sonst nicht in Debatten zum politischen Zeitgeschehen. Wir machen lokale Jugend- und Kulturarbeit ohne kommerzielle Interessen, aus Spaß und mit Leidenschaft.

In den vergangenen Wochen wurde in Hellersdorf eine Hetzjagd auf Refugees veranstaltet, ist das Auto einer Unterstützerin in Brand gesetzt worden, wird weiter rechte Propaganda verklebt und verteilt und ein*e Linke*r ist in der Umgebung der Flüchlingsunterkunft auf offener Straße mit einem Messer bedroht worden.

Und mal ehrlich, wer Hellersdorf kennt, kann sich doch nur wundern, dass die Situation erst jetzt wieder eskaliert ist. Wer sich mit offenen Augen und Ohren durch den Kiez bewegt und auch mal eine einschlägige Website liest, hat doch eine Vorstellung davon was sich da in den letzten Wochen und Monaten zusammenbraute.

Wir fühlen uns zunehmend unbehaglich hier in Hellersdorf. Die Alten am Tresen fangen schon an, von "früher" zu erzählen. Dabei hatten wir die Hoffnung mit unserer Arbeit dazu beizutragen, dass der vermeintliche "Ort der Vielfalt" sich wirklich mal zu so etwas wie einem für alle Menschen angstfreien, offenen, diversen und eben urbanen Raum entwickelt.

Seit 13 Jahren veranstalten wir unter anderem Konzerte mit Bands aus aller Welt, haben auch mal Leute da, die uns z.B. über Nazi-Subkultur informieren und haben durch Gespräche mit Zeitzeug*innen sowie auf Gedenkstätten- und Bildungsfahrten einen guten Eindruck vermittelt bekommen wie wichtig es ist, nicht wegzuschauen bevor es zu spät ist. Hauptsächlich gestalten wir einen Raum des sozialen Miteinanders. Die Älteren unter Euch wissen sicher noch was das Alleinstellungsmerkmal unseres Vorgängerprojektes "Das Haus" seit 1993 war: Kein Zutritt für Nazis. Hier hatten junge Menschen eine der wenigen Möglichkeiten, öffentlichen Raum im Bezirk angstfrei zu erleben.

Wir waren im letzten Sommer eine der örtlichen Strukuren, die die Mahnwache in der Maxie-Wander-Straße unterstützt hat, gegen die die Bezirksbürgermeisterin ordnungspolitische Maßnahmen wegen ein paar Metern Rasen anordnete. Aus der Linkspartei kennen und erwarten wir eigentlich einen anderen Umgang mit Verhältnismäßigkeit und Handlungsspielräumen. Eine Mahnwache, die heute gerne für den erfolgreichen Umgang des Bezirks mit der rassistischen Hetze zitiert wird.

Was uns außerdem enttäuscht: Wenn wir durch den Buschfunk hören, dass Betreiber und Heimleitung Vorfälle gegen das "Heim" verschweigen, dann hilft das den Geflüchteten in keinster Weise. Die Bedrohungssituation schränkt tatsächlich permanent die Bewegungsfreiheit der Untergebrachten ein.

Vorfälle wie in den letzten Wochen finden nie für sich statt, sie sind immer auch Ausdruck einer täglich gelebten Hass-Kultur und Ausdruck vom gängigem ideologischen Bewusstsein der Ungleichheit von Menschen. Wer von Nazis und Rassist*innen im Kiez nicht sprechen will, soll sich über deren Angriffe auf Menschen nicht empören.

Und das Ende vom Lied kann doch nicht sein, ordnungspolitische Maßnahmen, konkret: mehr Polizei im Kiez zu fordern. Wie bereits das Versagen der Polizeibehörden in der NSU-Affäre zeigt, sind diese ein Teil des Rassismus in der Gesellschaft und kein Garant für Sicherheit vor rassistischen Angriffen. Den Geflüchteten Polizei vor die Haustür zu stellen, die auch Amtshilfe zur Durchführung von Abschiebungen leistet, wirkt einfach nur zynisch. Nein, so darf das Lied nicht enden!

Nach dem was wir aus den '90ern vermittelt bekommen haben, gab es damals durchaus konkrete Organisierung, um innerhalb des linken Spektrums der Bedrohung durch Nazis in den Außenbezirken etwas entgegenzusetzen. Konkretes, das über bloße Lippenbekenntnisse hinaus ging. Fahrtwachen zum Beispiel am 20. April oder auch Telefonketten, die auf Angriffe auf "Ausländerwohnheime" reagierten. Vielleicht helfen organisierte und aufmerksame Nachbarn*innen mehr als Runde Tische und (Gegen-)Demos.

Der Raum, den die Mahnwache als einen definierte, in dem rassistische Angriffe keinen Platz haben, ist zerronnen. Wie kann diese Raumqualität wieder etabliert werden? Wie können betroffene Menschen vor dem rassistischen Mob geschützt werden?

Nachdem jetzt das große öffentliche Interesse immer weiter nachlässt müssen wir geeignete Konzepte finden, um selbst handlungsfähig zu werden.

Wir freuen uns, wenn wir dazu öfter im Austausch bleiben und Ihr unser Anliegen in Euren Zusammenhängen diskutiert.

La Casa Posse im April 2014

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